Vorstellung der Handlungsempfehlungen des Forschungsprojektes „Systemcheck“

 

Am 12. Oktober 2023 stellte der Bundesverband Freie Darstellende Künste e.V. (BFDK) im Rahmen einer Pressekonferenz die Ergebnisse seines Forschungsprojekts „Systemcheck“ und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen vor. Im Rahmen des Projekts wurde die Arbeitssituation von Solo-Selbständigen und Hybriderwerbstätigen in den darstellenden Künsten und deren soziale Absicherung in den Jahren 2021 bis 2023 erforscht. Aufgrund der deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegenden Einkommen und der daraus resultierenden mangelnden sozialen Absicherung insbesondere im Alter, ist der Gesetzgeber zu verschiedenen Reformen aufgefordert.

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„Die Daten, die im Forschungsprojekt „Systemcheck“ zusammengetragen wurden, sind wegweisend und elementar auf dem Weg zu besseren Arbeitsbedingungen von Akteur*innen in den darstellenden Künsten. Eine passgenaue soziale Absicherung gehört zum künstlerischen Schaffen dazu, um sich kreativ entfalten zu können. Mit dem Mythos, Prekarität würde Kreativität beflügeln, konnten wir hoffentlich aufräumen“, erklärt Helge-Björn Meyer, Geschäftsführer des BFDK.

„Die Erwerbsbiografie von Hybrid-Arbeitenden ist fragmentiert, von Statuswechseln geprägt und bedeutet einen enorm hohen bürokratischen Aufwand, denn sie passt in keine Kategorie der sozialen Sicherungssysteme. Es gibt zwar Regeln, aber sie sind nicht für uns gemacht. Sie gelten für Personen im Normalarbeitsverhältnis. Hybride müssen sich adaptieren, anpassen, einfügen, herumschlängeln – überleben eben. Um Geld zu verdienen und eben nicht dem Staat auf der Tasche zu liegen. Wir wollen mit unserer Arbeit alt werden und deshalb setzen wir darauf, dass unsere Lebensrealität endlich im System abgebildet wird“, ergänzt Anica Happich, Film- und Theaterschauspielerin, freischaffende Kuratorin und Kulturmanagerin und Mitglied des ensemble-netzwerks.

Im Rahmen der Untersuchung wurden von April bis Juni 2022 fast 900 Erwerbstätige in den darstellenden Künsten befragt. 43 Prozent der Befragten gaben dabei an, als Solo-Selbstständige zu arbeiten, 27 Prozent sind als mehrfach Solo-Selbstständige tätig, 20 Prozent sind hybridarbeitstätig – d.h. sowohl angestellt als auch selbstständig –, 7 Prozent als teils mehrfach abhängig Beschäftigte und 3 Prozent sind selbstständig mit Angestellten.

Das durchschnittliche Jahresnettoeinkommen der Erwerbstätigen in den darstellenden Künsten betrugt 2021 rund 20.500 Euro und lag damit mehr als 20 Prozent unter dem durchschnittlichen Jahresnettoeinkommen von Arbeitnehmer*innen in Deutschland (25.980 Euro / Quelle: Statistisches Bundesamt). Das durchschnittliche seit dem 18. Lebensjahr erzielte Jahresbruttoeinkommen liegt kaufkraftbereinigt mit lediglich 12.000,00 Euro noch deutlich darunter. Ein weiteres Ergebnis: Die Einkommen von Frauen sind im Lebensverlauf in den darstellenden Künsten ein Drittel geringer als das von Männern.

Mehr als die Hälfte der Beschäftigten sind über die Künstlersozialkasse (KSK) rentenversichert, ein Drittel ist gesetzlich rentenversichert, knapp 7 Prozent verfügen über eine private Rentenversicherung und fast 5 Prozent verfügen über keinerlei Rentenversicherung. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch für die Kranken- bzw. Pflegeversicherung: Auch hier dominiert jeweils die Versicherung über die KSK mit jeweils über 50 Prozent (59 Prozent Krankenversicherung, 53 Prozent Pflegeversicherung) vor der gesetzlichen Kranken- (44 Prozent) und Pflegeversicherung (36 Prozent) bzw. den jeweiligen privaten Versicherungen (8 Prozent bzw. 6 Prozent). 0,5 Prozent der Befragten verfügen über keinerlei Krankenversicherung.

Das Thema Altersvorsorge stand im besonderen Fokus der Befragung: Aufgrund der niedrigen Beiträge, die weit unter dem Regelbetrag für versicherungspflichtige Selbstständige liegen – KSK-Versicherte zahlen durchschnittlich 148,10 Euro monatlich ein, bei gesetzlich Versicherten liegt der Betrag bei 236,50 Euro und bei Privatversicherten bei 339,60 Euro –, ist nur eine sehr geringe monatliche Rente von rund 780 Euro zu erwarten.

Aus der Untersuchung hat der Bundesverband Freie Darstellende Künste deshalb folgende Handlungsempfehlungen abgeleitet:

  1. Einkommenssituation umfassend verbessern

Wir empfehlen den Kulturverwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen, die Vergaberegeln für die Kulturförderung so anzupassen, dass verbindliche soziale Standards und transparente Vergütungskriterien orientiert am TVöD für Erwerbstätige in geförderten Organisationen, Institutionen und Projekten Fördervoraussetzung sind.

  1. Personellen Anwendungsbereich im KSVG ausweiten

Wir empfehlen den Gesetzgebenden, durch eine Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) den personellen Anwendungsbereich der Künstlersozialkasse (KSK) auf Personen mit kreativ-organisatorischen, kreativ-technischen und künstlerisch-vermittelnden Tätigkeiten in den darstellenden Künsten auszuweiten und alle Honorare aus diesen Tätigkeiten anzurechnen.

  1. Hybriderwerbstätige im KSVG anerkennen

Wir empfehlen den Gesetzgebenden, durch eine Änderung des KSVG, alle Hybriderwerbstätigen in den darstellenden Künsten in der KSK zu versichern, wann immer sie nicht abhängig beschäftigt sind – unabhängig von der Dauer der Anstellung und der Höhe ihres Einkommens aus abhängiger Beschäftigung.

  1. Härtefallfonds gegen Altersarmut einrichten

Wir empfehlen den Gesetzgebenden die Einrichtung eines „Härtefallfonds“ zur Abmilderung von Altersarmut in den darstellenden Künsten.

  1. Versorgungskammer gründen

Wir empfehlen den Gesetzgebenden die Schaffung einer neuen Versorgungskammer als freiwillige Versicherung innerhalb der KSK.

  1. Anpassung des Zugangs zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung

Wir empfehlen den Gesetzgebenden, die Zugangsvoraussetzungen zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Solo-Selbstständige, die nie einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sind, ohne Anmeldefrist zu ermöglichen und einen wiederholten Bezug von Arbeitslosengeld zuzulassen.

  1. Durchversicherung für Hybriderwerbstätige

Wir empfehlen den Gesetzgebenden, bei Hybriderwerbsarbeit dafür zu sorgen, dass es zu einer Summierung der freiwilligen Arbeitslosenversicherung und der Pflichtbeiträge aus der Arbeitslosenversicherung kommt.

  1. Absicherung bei atypischen Einkommensausfällen

Wir empfehlen den Gesetzgebenden die Einrichtung einer Absicherung gegen atypische Einkommensausfälle als eigenständige, verpflichtende Säule in der Künstlersozialversicherung. Der Leistungsbezug soll äquivalent zu den Regelungen des Kurzarbeitergelds greifen.

  1. Vor, während und nach Unfällen unterstützen

Wir empfehlen den Gesetzgebenden die Einführung der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung für alle, die in der KSK pflichtversichert sind.

  1. Bemessungszeitraum für das Elterngeld

Wir empfehlen den Gesetzgebenden, Elterngeldempfänger*innen die Wahlfreiheit zwischen folgenden Optionen zuzusprechen: Für die Berechnung des Bemessungszeitraums gilt entweder das letzte abgeschlossene Kalenderjahr vor Geburt des Kindes oder alternativ das letzte abgeschlossene Kalenderjahr vor Beginn der Schwangerschaft.

  1. Garantierte Unterstützung für Gebärende

Wir empfehlen den Gesetzgebenden, die Leistungen für Gebärende sechs Wochen vor und acht bis zwölf Wochen nach der Geburt (Mutterschaftsgeld) als Standardleistung ohne Zusatzversicherung in die gesetzlichen Krankenkassen zu integrieren. Die Leistung soll 100 Prozent des Einkommens des Vorjahres für 14 Wochen betragen.

Die „Systemcheck“-Ergebnisse beziehen sich primär auf die Erwerbssituation in den darstellenden Künsten. Viele der Problemlagen Hybriderwerbstätiger oder Solo-Selbständiger dieser Branche treten aber auch außerhalb der darstellenden Künste auf und können Ansatzpunkte für andere Branchen bereithalten.

Das Projekt „Systemcheck“ wurde auf Beschluss des Bundestages umgesetzt und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert.

Downloads

Die Handlungsempfehlungen können hier heruntergeladen werden:

https://darstellende-kuenste.de/systemcheck_handlungsempfehlungen

Die Abschlussdokumentation kann hier heruntergeladen werden

https://darstellende-kuenste.de/systemcheck_Abschlussdokumentation

Alle bereits erschienen Themendossiers und Diskussionspapiere können hier heruntergeladen werden: https://darstellende-kuenste.de/publikationen_systemcheck

Pressekontakt:

Bundesverband Freie Darstellende Künste
Silke Eckert (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)
Dudenstraße 10
10965 Berlin
@email
Tel: +49 175 41 11 02 5

Zum Projekt „Systemcheck“ 

„Systemcheck“ ist ein Forschungsprojekt des Bundesverbands Freie Darstellende Künste e.V., gefördert durch das Bundesministerium Arbeit und Soziales aufgrund eines Beschlusses des Bundestages. Von 2021-2023 untersucht es die Arbeitsrealitäten von Solo-Selbstständigen und Hybrid-Erwerbstätigen in den darstellenden Künsten. Das Projekt trägt belastbares Datenmaterial zusammen, woraus wissenschaftlich fundierte und partizipativ im Feld entwickelte Handlungsbedarfe zur zukünftigen Gestaltung der sozialen Absicherungssysteme formuliert werden sollen. Durchgeführt wird „Systemcheck“ in Kooperation mit dem Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover, dem ensemble-netzwerk e.V. und dem Institute for Cultural Governance.

Infos und Neuigkeiten zum Projekt finden Sie auf der Website des BFDK.

Projektpartner*innen

Logo des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Förderer des Projektes Systemcheck aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages