Die dritte und letzte Fachkonferenz des Forschungsprojektes „Systemcheck“ fand am 11. und 12. Oktober 2023 im Podewil in Berlin statt.
Der erste Tag der Konferenz, der 11. Oktober 2023 startete mit Grußworten. Der Ministerialdirigent Lutz Köhler (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) und die Ministerialdirigentin Dr. Stephanie Schulz-Hombach (Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien) unterstrichen die Relevanz eines Forschungsprojektes wie „Systemcheck“ und die dringliche Notwendigkeit der Verbesserung der sozialen Absicherung von Akteur*innen in den (darstellenden) Künsten.
Nach der Vorstellung der finalen Auswertung der quantitativen „Systemcheck“-Umfrage durch Dr. Verena Tobsch (INES Berlin) wurde diese in einer Runde von Prof. Dr. Axel Haunschild (Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft), Prof. Dr. Angie Schneider (Universität Bremen), Dr. Hannah Speicher (Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft), Dr. Verena Tobsch (INES Berlin) und Dr. Gerlinde Vogl (Haus der Selbstständigen) diskutiert. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass Einkommen als zentrale Säule in Hinblick auf die soziale Sicherung gelten: beides gehört unumgänglich zusammen. „Systemcheck“ wurde vielfach als sehr relevantes Forschungsprojekt gelobt und große Überschneidungen mit Solo-Selbstständigen aus anderen Branchen bekräftigt, die nicht über eigene Marktmacht verfügen. Aus den Umfrage-Ergebnissen wird klar, dass die aktuellen Systeme die Komplexität der Arbeitsrealitäten in den darstellenden Künsten nicht fassen können und dass es aufgelockert werden muss, denn die soziale Marktwirtschaft löst die Probleme nicht. In der Forschung müsse ein gesonderter Blick auf hybride Beschäftigungsformen gerichtet werden, die erst jetzt in der Wissenschaft verbreitet auftaucht.
Am Nachmittag fanden zwei Paneldiskussionen zu den Themen (Zugangs-)Barrieren und Vereinbarkeit von Familie und Arbeit in den darstellenden Künsten statt:
In „Mind The Gap“ wurden Erfahrungen mit Barrieren aus folgenden Perspektiven beleuchtet:
Bürokratie & Sprache (Sebastian Hoffmann, Internationales Theaterinstitut Deutschland), Sprache & Unterstützungsnetzwerke (Lina Gómez), Arbeiter*innenkind-Hintergrund (Catharina Koch), Behinderung aus der Perspektive eines*r tauben Künstler*in (Rita Mazza), Gender-queere Realitäten (Jones Seitz, Gefährliche Arbeit) und Ageism (Anja Quickert).
Dieses Panel wurde von Lara-Sophie Milagro moderiert und gab anhand konkreter Berichte praktische Hinweise für die weitere Arbeit am Abbau vielfältiger Barrieren für Kolleg*innen in den darstellenden Künsten. Vieles hat direkt mit der Qualifizierung von Mitarbeitenden in Behörden aber auch der Akteur*innen selbst zu tun.
Moderiert von Johanna Roggan versammelte das Panel „Willkommen im Spagat“ unterschiedliche Erfahrungen von drei Künstler*innen (Florian Bücking, Hyunsin Kim, Sigrid Plundrich) und einer Wissenschaftler*in (Prof.*in Dr.*in Nicola Scherer). Die drei Künstler*innen berichteten aus der „Freien Szene“, aus Opernproduktionen, von Touring- und Gastspielerfahrungen und Learnings von anderen Ländern. Dabei wurde die Öffnung von Vorstellungen für Kinder angesprochen sowie Grenzen der Familienvereinbarkeit in der alltäglichen Arbeit. Zu letzteren wurden Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie vom Frauenkulturbüro NRW vorgestellt.
Am Donnerstag, dem 12. Oktober 2023 wurden in einer Pressekonferenz, moderiert von Anna Steinkamp (Bundesverband Freie Darstellende Künste e. V., die Forschungsergebnisse und Handlungsempfehlungen einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Vertreten wurde das „Systemcheck“-Forschungsteam durch Wibke Behrens (Institute for Cultural Governance), Anica Happich (ensemble-netzwerk e. V.), Prof. Dr. Axel Haunschild (Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft) und Helge-Björn Meyer (Bundesverband Freie Darstellende Künste e. V.).
Die vorgestellten Ergebnisse und Handlungsempfehlungen wurden, moderiert von Ulrike Seybold (Bundesverband Freie Darstellende Künste e. V.), mit Lisa Jopt (GDBA), Helge Lindh (SPD, Mitglied des Deutschen Bundestags), Helge-Björn Meyer (BFDK), Claudia Schmitz (Deutscher Bühnenverein) und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Mitglied des Deutschen Bundestags) im anschließenden Panel diskutiert.
Alle Panelgäst*innen begrüßten die zusammengefassten Ergebnisse zu den sehr komplexen Arbeitsverhältnissen in den darstellenden Künsten, die auch für die Theater als Arbeitgeber wichtig seien, so Claudia Schmitz. Es funktioniere nicht mehr, dass sich die Erwerbstätigen an die Systeme anpassen. Helge Lindh freut sich aus kultur- und medienpolitischer Perspektive über die konkreten Ansätze in den Handlungsempfehlungen, die die Themen soziale Absicherung, Einkommen und Fördersysteme verstärkt in die Diskussionen im Ausschuss für Kultur und Medien bringen können. Als wesentlichster Punkt werden auch in dieser Runde die Erhöhung der Einkommen genannt. Dafür brauche es laut Schmitz eine Strategie, die in verschiedene Richtung geht: an die Politik, und an Institutionen und Theater. Diese und die Akteur*innen in den freien Künsten müssten voneinander lernen. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn schlug vor, die Bürgerversicherung nochmals hinsichtlich Selbstständiger anzugehen. Er spricht auch ein Grundeinkommen für Kunst und Kultur an, z. B. für Menschen, die in der KSK sind und meint, das wäre finanzierbar. Auch wenn der Personenkreis in der KSK erweitert würde.
Immer wieder wird betont, wie wichtig Qualifizierung sei: Auf Seiten der Behörden, in Hochschulen, und dass z. B. transparente Einkommensregelungen auch den Gender Pay Gap eindämmen könnten.
Die Handlungsempfehlung zur Einrichtung einer Versorgungskammer sei, laut Einschätzung von Strengmann-Kuhn, eine interessante Idee, wenn sie als Zusatzversorgung gedacht ist, was Helge-Björn Meyer bestätigt. Ggf. könnte eine Lösung erdacht werden, die nicht nur für selbstständige Künstler*innen gilt. Ein vereinfachter Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung werde bereits diskutiert und grundsätzlich fände Herr Strengmann-Kuhn alle Vorschläge zum Thema „Erwerbslosigkeit absichern“ gut. Er sagte zu, sie in den Ausschuss für Arbeit und Soziales mitzunehmen. Er und Helge Lindh bestätigten beide, dass die Ausschüsse Arbeit und Soziales und Kultur und Medien zusammen an einem Tisch gebracht werden müssen, Herr Lindh will dies für die Tagesordnung vorschlagen, spätestens in 2024 soll es dazu komme.
Der Deutsche Bühnenverein ist am Abgrenzungskatalog dran und wird weiterhin versuchen, Gespräche mit der Rentenversicherung zu organisieren, damit die Feststellungsverfahren besser organisiert werden und somit die Sicherheit im Status bzw. die soziale Absicherung sich verbessern kann. Herr Strengmann-Kuhn bekräftigt dies: „Das Sozialversicherungssystem muss sich an die Lebenswirklichkeit der Menschen anpassen, das ist die Herausforderung. Aber: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“
Nach der Mittagspause folgte der Vortrag von Mareice Kaiser, in dem sie über Inklusion in Kunst und Kultur sprach, über Genderrollen und Care-Arbeit. Anschließend präsentiert Henrike Terheyden ihre Entwürfe des Graphic Recordings, die auf dieser Webseite zu sehen sind.
Den Abschluss machten Anna Steinkamp, Helge-Björn Meyer und Dr. Sandra Soltau, die drei Geschäftsführer*innen des BFDK, und fassten ihre Eindrücke zusammen, bevor sie diese vom Publikum sammelten. Sie nehmen neue Forschungsfragen mit, z. B. zum Thema Care-Arbeit und Festanstellungen in den freien darstellenden Künsten, weiterhin das Thema Förderung als ein wichtiges Thema und sie gehen nun die Umsetzung der Handlungsempfehlungen an, die in Richtung Politik und Verwaltung sowie an die Basis getragen wird: „Der Systemcheck ist getan, jetzt geht es um den Systemwandel.“
Hier kann das komplette Programm nach wie vor eingesehen werden.